(Gastbeitrag der Nichtraucherinitiative Sachsen-Anhalt)
von Stephan M. Feller, PhD (USA), Professor für Tumorbiogie, Institut für Molekulare Medizin, Charles-Tanford-Proteinforschungszentrum, Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg
Etwa alle 10 bis 15 Sekunden stirbt ein Mensch durch das Rauchen. Alleine in Deutschland sind es weit über 100.000 Menschen pro Jahr. Ein starker Raucher verkürzt sein Leben durchschnittlich um ca. 8–12 Jahre. Tabakrauch enthält über 5000 verschiedene Chemikalien und Giftstoffe, darunter mindestens 70 die krebserregend sind, z.B. Polonium 210, ein radioaktives Element, welches der russische Geheimdienst einsetzt um Dissidenten zu ermorden.
Rauchen ist also eindeutig ungesund, egal in welchem Alter und in welcher Menge. Das weiß man eigentlich spätestens seit 1939. In dem Jahr veröffentlichte nämlich der berühmte Dresdner Arzt und Forscher Fritz Lickint sein über 1200-seitiges Standardwerk ‚Tabak und Organismus’. Trotzdem bleibt noch sehr viel zu tun. Die Tabakindustrie hat es über viele Jahre immer wieder geschafft Ärzte, Forscher und Politiker zu bestechen, damit sie die Gefahren des Tabakkonsums kleinreden. Auch heute arbeiten Tabakkonzerne mit allen Mittel daran, dass möglichst viele Menschen nikotinsüchtig werden. Immer wieder gibt es Versuche neue gefährliche Produkte in den Markt zu drücken. Die finanziellen Gewinne der Tabakkonzerne sind gewaltig, die negativen Folgen für die Zivilgesellschaften ebenfalls.
Ganz besonders dringlich ist der Schutz vor den Giften des Tabakrauchens während der Schwangerschaft, also schon lange vor der Geburt. Durch den Mutterkuchen (Plazenta) nimmt das Kind nicht nur Sauerstoff und Nährstoffe von der Mutter auf. Auch zahlreiche Giftstoffe und Kohlenmonoxid aus dem Tabakrauch gelangen ins Kind und ins Fruchtwasser. Das werdende Leben badet bei rauchenden Schwangeren fast permanent in einem verheerenden Giftcocktail. Leider passiert das in Sachsen-Anhalt immer öfter. Waren es 1996 noch 5.9% der werdenden Mütter die in unserem Bundesland qualmten, so sind es nach neueren Zahlen (2014) derzeit 16.6%, das heißt fast dreimal soviel.
Die Konsequenzen für die Kinder sind oft gravierend, manchmal ist lebenslanges Elend vorprogrammiert. Die Horrorliste der möglichen Folgen für die betroffenen Kinder ist ellenlang. Hier nur ein paar Beispiele… Deutlich häufiger bei schwangeren Raucherinnen findet man ein Absterben des Kindes während der Schwangerschaft, Frühgeburten, Totgeburten, den plötzlicher Kindstod nach der Geburt, zum Teil schwere Herzfehler, Lungenschäden, Hörschäden, Lernbehinderungen, Verhaltensstörungen, Diabetes, sowie Missbildungen im Gesicht und an den Extremitäten.
Oft handelt es sich bei den schwangeren Raucherinnen um junge Mädchen, um Teenager in schwierigen Lebensumständen, die teilweise wenig Unterstützung aus ihrem Umfeld erfahren. Hier ist unsere Gesellschaft und unsere Politik in Bund und Land ganz besonders gefordert.
Die nikotinsüchtigen Säuglinge von rauchenden Schwangeren machen gleich nach der Geburt erst einmal einen kalten Nikotinentzug durch. Das erste worauf sie nach dem Geburtsstress wohl Lust hätten wäre eine Zigarette. Die bietet ihnen aber keiner an. Sie tun also was auch sehr kleine Kinder meist schon gut können: Schreien bis zur Ermüdung. Keine Frage, das trägt nichts dazu bei die, oft ohnehin schon ziemlich gestressten, Mütter zu entlasten und eine gute Mutter – Kind Beziehung aufzubauen.
Ich bin der Meinung, wir dürfen es uns als Gesellschaft einfach nicht weiter leisten den Schutz der Kinder im Mutterleib so sträflich zu vernachlässigen. Als erstes ist dazu eine massiv verstärkte Aufklärung notwendig. Die muss auf jeden Fall schon präventiv, also im schulischen Bereich beginnen. Die ersten Mädchen fangen schon im zarten Alter von 11 bis 12 Jahren zu rauchen an. Suchtprävention muss also spätestens in der Grundschulklasse 4 anfangen, idealerweise sollte man aber schon in Kitas mit altersgerechten Informationen für Kinder und deren Eltern beginnen. Das Rauchen auf Kitageländen muss streng verboten werden. Gerade in Sachsen-Anhalt, die oben genannten Zahlen zeigen es, ist eine umgehende und effektive Aufklärungskampagne zu den Schäden durch Rauchen in der Schwangerschaft für die gesamte Bevölkerung bitter nötig.
Rauchen in der Schwangerschaft ist kein Kavaliersdelikt, es ist — wenn auch nicht im juristischen, sondern bisher nur im medizinischen Sinne — Körperverletzung des Kindes, mit zum Teil lebenslangen Folgen.
Wir haben zwar schon seit langem die allgemeine Gurtpflicht in Deutschland aber den Lustgewinn von Erwachsenen durch Rauchen auf Kosten von Kindern effektiv zu bekämpfen ist uns bisher scheinbar eher unwichtig. Warum ist es in Deutschland auch weiterhin erlaubt in Anwesenheit von Schwangeren und Kindern im Auto zu rauchen? Wäre es nicht höchste Zeit das endlich zu ändern? Italien und Großbritannien z. B. haben schon längst entsprechende Gesetze erlassen. Über 80% der Bevölkerung befürworten das, selbst die Mehrzahl der Raucher.
Deutschland und besonders Sachsen-Anhalt ist allerdings im Bereich des Nichtraucherschutzes das Schlusslicht in der EU. Sachsen-Anhalt hat vielleicht das schwächste Nichtraucherschutzgesetz im Bund. EU-weit ist nur noch in Deutschland Tabakwerbung an Hauswänden, auf Plakaten und Litfaßsäulen erlaubt. Haltestellen mit vielen Schülern werden bevorzugt mit Tabakwerbung bepflastert um immer weitere Jugendliche nikotinsüchtig zu machen. Der Bundestagsabgeordnete und kürzlich abgewählte Fraktionsvorsitzende Volker Kauder hat es in der vergangenen Legislaturperiode immer wieder geschafft ein landesweites Plakatierungsverbot im Bund zu verhindern, obwohl sich Deutschland schon vor etlichen Jahren gegenüber der Weltgesundheitsorganisation (WHO) dazu verpflichtet hat. Deutschland gab im Jahr 2015 bundesweit lächerliche 2.4 Mio. € im Jahr für Tabakkontrolle aus, also knapp 3 Cent pro Einwohner, in Großbritannien waren es, bei weniger Einwohnern 26.8 Mio. €, also mehr als 10x so viel (Quelle: Dt. Ärzteblatt 28.4.2017).
Leider werden durch bundesweite Statistiken die spezifischen Probleme der neuen Bundesländer oft eher verschleiert. In den Nachrichten hört man immer wieder von einem leichten Rückgang der Raucherzahlen in Deutschland. Das ist nicht falsch.
In den Altbundesländern gibt es vielfach eine erfreuliche, deutliche Abnahme gerade bei jungen Rauchern. In Mitteldeutschland ist allerdings ein gegenläufiger Trend zu beobachten, vor allem bei Mädchen und jungen Frauen.
In Sachsen-Anhalt rauchen laut neuester Ausgabe des Tabakatlas vom Deutschen Krebsforschungszentrums (2015) 22.6% aller Frauen und Mädchen. In der Altersgruppe von 15–24 Jahren sind es 30.3%. Vergleicht man das z. B. mit dem Nachbarbundesland Niedersachsen wird der Unterschied sehr deutlich (alle Raucherinnen: 21.1%, Altersgruppe 15–24 Jahre: 15.4%).
Die Problematik verschärfend kommt hinzu, dass aktuell andere nikotin- und Kohlenmonoxid-haltige Konsumprodukte als Zigaretten eine immer wichtigere Rolle bei Kindern und Jugendlichen spielen. Beispiele sind Shishas, E‑Zigaretten, Tabakerhitzer (IQOS etc.) und Snus. Diese Produkte sind zwar keinesfalls wirklich innovativ, sondern im Wesentlichen mindestens einige Jahrzehnte alt, die Tabakindustrie versucht aber immer wieder sie in neuer ‚cooler’ Verpackung in den Markt zu drücken und damit auch aktuell gültige Gesetze zu umgehen.
Unsere Gesetzgebung (Nichtraucherschutzgesetze, Landesschulgesetze etc.) wird hierdurch vor ganz neue Herausforderungen gestellt. Bisher sind Bund und Land allerdings überwiegend inaktiv.
Was ist also zu tun?
Rauchen in der Schwangerschaft muss gesellschaftlich inakzeptabel werden. Zum Schutz unserer Kinder und Jugendlichen brauchen wir möglichst viele rauchfreie Zonen. Der Geruch von Tabakrauch und sonstigen Nikotindämpfen darf Kindern nicht ständig um die Nase wehen.
Wenn Kita-Mitarbeiter zum gemeinschaftlichen Qualmen verschwinden und die Kinder dann zeitweilig nicht mehr vernünftig beaufsichtigt werden müssen Eltern Alarm schlagen. Wenn rauchende Schulleiter sich weigern eine vernünftige Suchtprävention an ihren Schulen zu organisieren müssen Eltern aktiv werden. Wenn Krankenhauspersonal und Medizinstudenten die Rauchverbotsschilder an den Eingängen der eigenen Unikliniken ignorieren läuft etwas völlig schief. Das kann man als Patient ruhig ansprechen oder in Fragebogen vermerken. Wer Kontakte zu Presse, Radio, Fernsehen etc. hat kann seinen Unmut dort kundtun. Weniges fürchtet die Lokalpolitik so sehr wie entsprechende Negativmeldungen in den Medien. Sprechen Sie auch Ihre Lokalpolitiker immer wieder nachdrücklich auf die Thematik an.
Bisher fehlt offensichtlich bei weiten Teilen der Bevölkerung unseres Bundeslandes ein echtes Verständnis für die gravierenden Gefahren des Rauchens, auch für Nichtraucher durch Passivrauchen. Das ohnehin schon sehr schwache Nichtraucherschutzgesetz des Landes wird oft ganz bewusst ignoriert und das meist ohne negative Konsequenzen.
Dabei sterben in Sachsen-Anhalt jede Woche durchschnittlich zwei Nichtraucher am Passivrauchen.
Die Landtagsabgeordneten, die Vertreter von Städten und Gemeinden können viel tun. Man muss nicht immer darauf warten, dass bei anderen etwas passiert. Viele Politiker sind allerdings bisher geradezu lethargisch, wenn es um das Thema Suchtprävention und Nichtraucherschutz geht. Dabei weiß zumindest der Landtag inzwischen Bescheid was die Stunde geschlagen hat. Ein schon Ende 2016 geschriebener Brandbrief des Landeselternrates in Sachsen-Anhalt an die Landesminister Tullner (Bildung) und Grimm-Benne (Soziales) führte zu einer entsprechenden Landtagsdebatte im April 2017. Allerdings wurde in dieser Debatte nicht erkennbar, ob effektive Maßnahmen tatsächlich folgen werden. Deshalb wurde im Mai 2017 eine Petition zur Verbesserung der Suchtprävention an den Landtag gerichtet, gemeinsam unterstützt von Landesschülerrat, Landeselternrat, den Tumorzentren der Unikliniken in Halle und Magdeburg, der Sachsen-Anhaltischen Krebsgesellschaft und dem halleschen Oberbürgermeister. Ob die Landespolitik dem folgt und ein wirklich effektives Maßnahmenpaket umsetzt ist derzeit mehr als fraglich. Immerhin steht, aufgrund dieser Petition, jetzt wenigstens seit August 2018 erstmalig (!) Suchtprävention als Aufgabe von Schulen im Landesschulgesetz von Sachsen-Anhalt.